Eine Nachbetrachtung des Interviews
Das Interview ist eine wertvolle Primärquelle, die nicht nur Fakten liefert, sondern auch die Persönlichkeit und die zwischenmenschlichen Dynamiken rund um Mahalia Jackson lebendig werden lässt. Es scheint auch das einzige Tondokument zu sein, das von Mildred Falls erhalten ist.
Mildred Falls erweist sich als eine engagierte und detailreiche Erzählerin. Ihre Anekdoten sind farbig und voller Emotionen, von Lachen über die Eigenheiten Mahalias bis hin zu echter Angst, zum Beispiel während der Ereignisse in Montgomery. Sie hat eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich an kleine Details zu erinnern (z.B. die Pagenjungen in Dänemark, das Telefon auf dem Bahnsteig), was ihren Berichten Authentizität verleiht. Ihre Lacher und die direkte Art ("Ziemlich gut") machen das Interview persönlich und charmant. Man spürt ihre tiefe Verbundenheit und Zuneigung zu Mahalia, auch wenn sie deren Eigenheiten humorvoll hervorhebt.
Das Interview bestätigt und vertieft das Bild von Mahalia Jackson als außergewöhnliche und unkonventionelle Künstlerin.
Musikalische Genialität
Ihre Fähigkeit, Lieder nie zweimal gleich zu singen und spontan Tonarten zu wechseln, zeugt von einer immensen musikalischen Intuition und einem tiefen Ausdrucksbedürfnis, das über feste Arrangements hinausging. Dies erklärt auch Mildreds Herausforderung und ihre Notwendigkeit, sich vollkommen auf Mahalia einzustellen.
Anspruch und Ermutigung
Mahalias spärliche Anerkennung ("Ziemlich gut") zeigt ihren hohen Standard, aber auch ihre indirekte Ermutigung, sich ständig zu verbessern. Ihr Vertrauen in Mildreds Fahigkeiten und Lehrmethoden ("Wenn du sie unterrichtest, weiß ich, dass sie singen können") unterstreicht eine tiefe, gegenseitige Achtung.
Menschliche Züge
Mahalias Flugangst, die erst durch "Tante Hannahs Segen" überwunden wird, und ihre Seekrankheit, für die sie Mildred die Schuld gab, zeichnen ein sehr menschliches, nahbares Bild der Ikone. Ihre Rolle als "Friedensengel" in Paris zeigt zudem ihre Ausstrahlung und Fähigkeit, Menschen zu verbinden.
Das Interview bietet seltene Einblicke in die Logistik und Herausforderungen des Tourens in dieser Zeit.
Reisebedingungen
Die Beschreibungen von Zugreisen, dem Schiff "SS United States" und den Übergängen zwischen diesen Transportmitteln vermitteln ein Gefühl für die damaligen Reisemöglichkeiten und -belastungen.
Gefahren und Rassismus
Die Erlebnisse in Montgomery und Lynchburg sind erschütternd und unterstreichen die gefährlichen Realitäten der Bürgerrechtsära für afroamerikanische Künstler, die in den Südstaaten tourten. Mildreds Todesangst und die Bombardierung des Hauses, in dem sie wohnten, sind drastische Erinnerungen an die damaligen Bedrohungen.
Anpassungsfähigkeit
Die Notwendigkeit, lokale Organisten in Europa auszubilden, spricht für die Anpassungsfähigkeit der Musiker und die Bemühungen, Gospelmusik international zu verbreiten.
Laurraine Gorreau führt das Interview mit einer Mischung aus Respekt und Vertrautheit. Ihre Fragen sind gezielt und leiten Mildred zu detaillierten Antworten an, ohne sie zu unterbrechen. Die gemeinsamen Lacher und Gorreaus Kommentare ("Die beste Medizin, die Sie hätten finden können") zeigen eine entspannte und vertrauensvolle Atmosphäre, die Mildred ermutigt, offen und persönlich zu sein. Gorreaus Anmerkungen in Klammern im Transkript (z.B. "LG-Anmerkung - falsch") zeigen ihren Wunsch nach Genauigkeit und ihre eigene Recherche.
Das Interview beleuchtet die Rolle von Gospelmusik und ihren Künstlern nicht nur als Unterhalter, sondern auch als Akteure im kulturellen und sozialen Wandel. Die Erwähnung der National Baptist Convention und der Reise nach Montgomery positioniert Mahalia Jackson und Mildred Falls fest im Kontext der afroamerikanischen Kirchen- und Bürgerrechtsbewegung.
Insgesamt ist das Interview mit Mildred Falls eine reiche und bewegende Quelle, die einen seltenen persönlichen Blick hinter die Kulissen einer Musiklegende und ihrer engsten Begleiterin gewährt. Es betont nicht nur die musikalische Brillanz, sondern auch die menschlichen Facetten, Herausforderungen und die tiefe Loyalität in der Welt des Gospel.
©Thilo Plaesser