She had a dream

Mahalias unerfüllter Traum

Einen Tempel für alle

Mahalia Jackson hatte zeitlebens einen großen, unerfüllten Traum: den Bau eines nicht-konfessionellen Tempels in Chicago. Dieser Tempel sollte nicht nur ein Gotteshaus sein, sondern ein pulsierendes "lebendes Denkmal" für ihre tief verwurzelten Überzeugungen und ihren unerschütterlichen Glauben. Es war eine Vision, die über ihre musikalische Karriere hinausging und eine tiefe Sehnsucht nach Gemeinschaft, Bildung und spiritueller Erneuerung widerspiegelte.

Die Vision eines besonderen Ortes

Mahalias Tempel sollte ein Ort sein, der allen Religionen und Rassen offenstand.

Verkündigung
Sie stellte sich einen Raum vor, in dem das Evangelium nicht nur gelehrt, sondern auch gesungen wurde – ein Zentrum für evangelistische Arbeit und Erweckungen, um "Sünder zur Bekehrung zu führen". Doch ihre Vision reichte weit über die traditionelle Predigt hinaus:

Bildung und Jugendförderung
Sie wollte jungen Menschen eine umfassende Bildung ermöglichen, ihnen das Singen beibringen, sie in geschäftlichen Belangen unterweisen und ihnen zeigen, wie man das Leben feiert. Sogar eine Ausbildung für das Showgeschäft "auf Gottes Seite" zog sie in Betracht.

Musikalische Ausbildung
Angehende Gospelsänger sollten Musikunterricht und Beratung erhalten.

Heilung und Integrität
Der Tempel sollte göttliche Heiler beherbergen und vor allem ehrlich und ohne Betrügereien geführt werden – ein direkter Kontrast zu einigen Praktiken, die sie in anderen Kirchen beobachtete.

Die Inspiration für diesen ambitionierten Plan kam unter anderem von Elder Lucy Smith, einer angesehenen Predigerin in Chicago, die ihre eigene Kirche gebaut hatte und als erste im Chicagoer Raum im Radio sprach. Mahalia bewunderte Smiths Erfolg und ihre Fähigkeit, eine eigene spirituelle Heimat zu schaffen.

Finanzielle Ambitionen

Mahalia war sich bewusst, dass ein solches Großprojekt immense Mittel erforderte. Sie hatte geschworen, "falls sie jemals zu viel Geld bekommen würde", einen Tempel zu bauen. Und Geld sammelte sie: Durch die Tantiemen ihres Mega-Hits "Move On Up a Little Higher" und unzählige Auftritte wurde sie zu einer wahren "Superverkäuferin". Menschen aus allen Gesellschaftsschichten spendeten bereitwillig. Es gab sogar Berichte, dass der damalige Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, 10.000 Dollar für das Projekt beisteuerte, die Mahalia interessanterweise in bar anforderte.

Um ihre philanthropischen Ziele zu untermauern, gründete sie die “Mahalia Jackson Scholarship Foundation“. Ursprünglich vergab diese Stiftung ein jährliches Stipendium für Kirchenmusik an der Roosevelt University, doch Mahalia erkannte bald die Notwendigkeit, ihre Ziele zu erweitern. Sie plante ein "Starfest" als Grundstein für die neue, größere Stiftung. Dabei war ihr Transparenz von größter Bedeutung: Sie wollte sicherstellen, dass kein Geld in die Taschen von Einzelpersonen floss, insbesondere nicht in ihre eigene. Um das Projekt auf eine breitere finanzielle Basis zu stellen, wagte sich Mahalia in die Geschäftswelt vor. Sie initiierte verschiedene Unternehmungen, die alle unter schwarzer Führung stehen sollten, um Wohlstand in der schwarzen Gemeinschaft zu schaffen:

- Donut Shops
- Das Mahalia Jackson Chicken System
- Mahalia Jackson's Parlors
- Lebensmittelprodukte

Der ideale Standort

Die Wahl des Standortes war Mahalia besonders wichtig.

Sie favorisierte ein Grundstück auf der South Side von Chicago, idealerweise direkt am Martin Luther King Jr. Drive. Ein ursprünglich ins Auge gefasstes Gebäude, der Swedish Club, erwies sich mit einer Kapazität von 500 Personen als zu klein. Mahalia benötigte Platz für bis zu 1.500 Menschen. Schließlich fand sie ein "majestätisches Gebäude": den ehemaligen K.A.M.-Tempel am Drexel Boulevard und der 51. Straße. Dieses beeindruckende Bauwerk aus Marmor und Stein erinnerte an einen römischen Tempel und bot über 1.200 Personen Platz. Es verfügte über Buntglasfenster, eine Pfeifenorgel, einen Chorraum, eine Gemeindehalle mit Bühne, eine Kapelle, eine große Küche, Schulzimmer, eine Bibliothek, Büros und sogar eine Vierzimmerwohnung. Der Keller sollte als Aufnahmestudio dienen und Mieteinnahmen generieren, um den Tempel finanziell zu unterstützen. Es gab sogar Pläne, ein Hochhaus um den Tempel herum zu errichten, um weitere Einnahmen für den Tempel und die Schule zu sichern.

Herausforderungen - Rückschläge

Doch trotz ihrer unermüdlichen Bemühungen und ihrer klaren Vision stieß Mahalia auf erhebliche Hindernisse, die ihren Traum letztlich zunichtemachten:

Zeitmangel
Ihr vollbepackter Reise- und Tourneeplan ließ kaum Zeit für die detaillierte Planung des Tempels.

Persönliche Belastungen
Eheprobleme und Berichte über verschwundenes Stiftungsgeld behinderten das Projekt.

Grundstücksprobleme
Grundstückseigentümer trieben die Preise in die Höhe, und eine Frau weigerte sich, ihr Land zu verkaufen, das für den Hochhausplan vorgesehen war.

Enttäuschungen nach dem Kauf
Nach dem Kauf des K.A.M.-Tempels wurde dieser "entrümpelt", wobei wertvolle Gegenstände wie der Flügel entfernt wurden, was Mahalia tief kränkte.

Gesundheitliche Probleme
Schwere gesundheitliche Rückschläge, darunter Herzprobleme und Sarkoidose, schwächten sie erheblich und zwangen sie zu Ruhe.

Widerstand aus dem Umfeld
Ihre Manager und Freunde rieten ihr von den Immobilieninvestitionen ab, da sie diese für zu kostspielig hielten.

Skepsis von Offiziellen und Geistlichen
Col. Jack Reilly, ein Stadtbeamter, äußerte Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität des Projekts. Einige Geistliche in Chicago lehnten ihre Verbindung zu Martin Luther King Jr. ab, was ihre Arbeit zusätzlich erschwerte.

Das Ende

Das Scheitern von Mahalia Jacksons Tempel-Traum kam abrupt und unter tragischen Umständen.

Trotz des Kaufs des K.A.M.-Tempels und einer Anzahlung von 15.000 Dollar zog sie ihre Zusage nur zwei Tage vor dem geplanten Abschluss des Geschäfts überraschend zurück. Am 4. Januar 1972 forderte sie ihren Anwalt Gene Shapiro auf, all ihre Sparbriefe sofort in bar einzulösen. Wenige Tage später, am Sonntag, dem 23. Januar, kurz vor einer geplanten Operation am 24. Januar, teilte sie ihrem Anwalt mit, dass sie ihren gesamten Besitz liquidieren und nach Arizona ziehen wolle. Diese plötzliche Entscheidung und die Ankündigung ihrer Operation schockierten ihn. Nur drei Tage später, am Sonntag, den 27. Januar 1972, endete nicht nur ihr lang gehegter Traum, sondern auch ihr Leben.

Man könnte spekulieren, dass Mahalia Jackson eine Vorahnung ihres nahenden Endes hatte und deshalb so handelte. Der Traum vom Tempel war seit vielen Jahren ein Teil von ihr, und die finanziellen Mittel zu seiner Verwirklichung standen ihr ebenfalls schon lange zur Verfügung. Doch "immer kam etwas dazwischen". Es scheint, als sei der Tempel in erster Linie ein ideeller Traum gewesen – die Vorstellung einer perfekt funktionierenden Gemeinschaft aller Religionen, Hautfarben und Nationalitäten. Gleichzeitig war sie eine Realistin und wusste, dass dieses Ideal kaum zu erreichen war. Zudem hätte sie sich persönlich um die Umsetzung kümmern müssen, was ihr voller Terminkalender unmöglich machte.

Obwohl der prächtige Tempel nie Wirklichkeit wurde, bleibt Mahalia Jacksons Vision ein kraftvolles Zeugnis ihrer tiefen Hingabe an die Gemeinschaft. Sie wollte über ihre Musik hinaus ein bleibendes Erbe schaffen – ein Erbe der Inklusion, Bildung und spirituellen Erhebung für alle.

©Thilo Plaesser