Dialog mit Gott

Beten und Meditieren

Tägliche Verbindung - Ein Leben im Gebet

Mahalias spirituelle Reise war von einer täglichen Disziplin geprägt, die sie wie einen kostbaren Schatz hütete. Inspiration und göttliche Führung fand sie nicht in flüchtigen Momenten, sondern in der bewussten, täglichen Suche nach Gott. Jeden Morgen kniete sie nieder, um ihren Schöpfer für all die Segnungen zu danken, die ihr zuteilwurden. Die Bibel war ihr ständiger Begleiter, ein Leuchtturm in stürmischen Zeiten. Besonders in Schwierigkeiten suchte sie Trost und Orientierung in ihren heiligen Seiten.

Ihr Gebet war ein lebendiger Dialog, der sich in den dunkelsten Stunden ihres Lebens als Anker erwies. Als Krankheit sie zu Boden zwang und die Angst vor einer Überseereise sie lähmte, war es das Gebet, das ihr Kraft gab. Sie betete nicht nur für sich, sondern auch für ihre geliebte Pianistin Mildred, die ebenfalls mit Krankheit zu kämpfen hatte: „Herr, zieh sie da durch, und mich auch.“ Selbst nach der schmerzhaften Scheidung von ihrem zweiten Ehemann, inmitten von Einsamkeit, fand sie Erleichterung und Trost in ihren stillen Zwiesprachen mit Gott.

Mahalias Hingabe war so tief, dass selbst nach anstrengenden Tourneen, wenn der Körper nach Ruhe schrie, ihr Geist sie in eine Kirche trieb. Dort, in der Stille des Gotteshauses, dankte sie Gott und sang zu seiner Ehre – ein Akt der Anbetung, der über jede Müdigkeit triumphierte. Für sie war Gebet nicht nur ein Trostpflaster, sondern das einzige Mittel in Zeiten körperlicher Not.

© Carl van Vechten/Alamy

Die heilende Kraft

Mahalia glaubte fest an die heilende Wirkung ihrer Stimme und ihres tiefen religiösen Eifers. Sie sah sich selbst nicht als Heilerin, sondern als Instrument Gottes, durch das Heilung fließen konnte. Unzählige Zeugnisse berichteten von Menschen, die während ihrer Darbietungen Linderung oder sogar vollständige Genesung erfuhren. Mahalia betonte stets, dass nicht sie die Kraft besaß, sondern allein Gott der Heiler sei.

In ihren eigenen Momenten der Schwäche erfuhr sie die Kraft des Gebets am eigenen Leib. Ihre „Gospelmutter“ Mother Gaye betete einst für sie mit Handauflegen und sprach prophetische Worte: „Der Herr wird dich heilen.“ Mahalia empfing diese Worte mit tiefster Freude und einem Gefühl, göttliche Kraft gefunden zu haben. Einmal, vor einem Konzert, als sie so krank war, dass sie nicht einmal ihre Bibel lesen konnte, bat sie Harry Lenetska, ihr Psalm 27 vorzulesen. Was folgte, war ein wundersame Genesung und eine inspirierte Darbietung, bei der die Schmerzen auf der Bühne verschwanden. Diese Erfahrung wiederholte sich vor einem Konzert in der St.-Pauls-Kathedrale – ein Beweis für die unzertrennliche Verbindung zwischen ihrem Glauben und ihrer körperlichen Verfassung.

Interessanterweise erzählte Mahalia auch, dass ein junger Elvis Presley als Kind in eines ihrer Kirchenkonzerte in Mississippi geschlichen sei. Sie war überzeugt, dass seine pfingstliche Erziehung und das Aufwachsen in solch einer Umgebung viel über seinen späteren, gefühlvollen Gesang erklärten.

Die Botschaft als Klang

Für Mahalia war Gospelmusik mehr als nur Gesang – es war das Singen der „guten Nachricht“ und die Verbreitung dieser Botschaft in die Welt. Ihre Musik war ein Lobpreis Gottes und ein Zeugnis dessen, was er für sein Volk getan hatte. Sie lehnte es kategorisch ab, Jazz oder Blues zu singen, denn während Gospel Hoffnung und Freude schenkte, versank Blues in Verzweiflung. Für sie war Gospel ein „persönlicher Triumph über jede Schwierigkeit, eine Lösung für jedes Problem, ein kleiner Weg zum Frieden.“

Ihre Lieder, wie „God Answers Prayers“, „I’m Going to Tell God All About It“ und „Pray Lord, Use Me“, waren direkte Spiegelungen ihres tiefen Glaubens. Hymnen wie „Amazing Grace“ und „His Eye Is on the Sparrow“ wurden unter ihrer Stimme zu kraftvollen Gebeten, die Herzen berührten.

Mahalias Gesang war eine „gesungene Meditation“, bei der der Text und die Botschaft von entscheidender Bedeutung waren, während Melodie und Rhythmus ihre Rolle als dienende Elemente erfüllten.

Der Körper im Lobpreis

Mahalias Gesang war untrennbar mit ihrer physischen Präsenz und emotionalen Hingabe verbunden.

Sie sang mit „Körper, Händen, Füßen“ und nutzte den Ausdruck „demonstrieren“ im Sinne einer tiefen Reflexion über das Leben. Sie war bekannt dafür, „ihr Kleid ein wenig über die Knöchel zu heben und einen lebhaften heiligen Tanz im Zweischritt hinzulegen“ oder sich auf der Bühne zu bewegen und auf die Knie zu fallen, wenn der Geist sie bewegte.

Sie war „vom Geist fortgetragen“, was bedeutete, dass die außerordentliche Leidenschaft ihrer Darbietungen sie „buchstäblich aus sich selbst herausholte“. Sie erzählte, dass sie es gewohnt war, in der Kirche zu singen, „bis der Herr kommt“ und der Geist sich manifestierte. Diese tiefe spirituelle Verbindung führte oft dazu, dass sich das Publikum von ihrer Begeisterung mitreißen ließ, wie bei einem Gospel-Gottesdienst in Chicago, wo die ganze Kirche schließlich mitsang.

Mahalia verstand, dass die enthusiastischen Reaktionen in den Kirchen – das Schreien, Tanzen, Klatschen und Stampfen – Ausdruck der Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist waren. Trotz Kritik an ihrer körperbetonten Darbietung verteidigte sie sich mit biblischen Zitaten, wie Psalm 47: „Klatscht in die Hände, alles Volk, und ruft dem Herrn mit der Stimme einer Trompete.“

Eine Stimme die heilt

Mahalia Jackson wurde oft als „Evangelistin“ betrachtet. Ihre Kommentare nach den Konzerten waren „nachdenklich, inspirierend und ermutigend“, als ob ein „engelsgleicher Geist“ durch sie spräche. Sie besaß die einzigartige Fähigkeit, sich mit den Gefühlen des Publikums zu verbinden, selbst wenn diese kein Englisch verstanden. Durch ihren Gesang führte sie unzählige Menschen zu Bekehrungen.

Für sie waren ihre Konzerte keine bloße Unterhaltung, sondern „religiöse Erfahrung“ und „religiöses Ritual“. Selbst auf Jazzfestivals bestand sie darauf, am Sonntag zu singen, um ihre religiöse Hingabe und Anbetung zu zeigen. Sie sah jede Konzerthalle als „einfach eine weitere Kirche“, denn für sie war Gott überall. Die Kirchen selbst waren für sie wie „Tankstellen“, um ihren Geist aufzutanken.

Ihre Hingabe ging über die Bühne hinaus. Sie leistete persönliche Seelsorge, besuchte Kranke und Inhaftierte und sang für sie, was zu weiteren Bekehrungen führte.

Integrität und Glaube - Der unbeugsame Weg

Mahalias Leben war ein Zeugnis ihrer unbeugsamen Integrität.

Sie lehnte lukrative Angebote im Showgeschäft und zum Singen von Jazz oder Blues kategorisch ab, da sie ein Gelübde abgelegt hatte, dies niemals zu tun. Sie bestand darauf, dass keine „Jazz-Akkorde“ in ihrer Begleitung verwendet wurden. Sie widersetzte sich dem Druck, ihre Musik zu „kommerzialisieren“ und auf die von Plattenfirmen gewünschten Formate zu reduzieren, denn sie war es gewohnt, „bis der Geist kommt“ zu singen.

Sie betonte immer die Bedeutung, die Botschaft in ihren Liedern verständlich zu machen. Mahalias spirituelle Leidenschaft war nicht trainiert, sondern sang aus tiefster Erfahrung und Instinkt, nicht nach Noten. Sie konnte Taktarten nicht unterscheiden und sagte ihren Musikern: „Ich singe einfach – folgt mir.“

Mahalia Jacksons Leben und künstlerisches Schaffen war zutiefst von ihrem Glauben und ihrer persönlichen Beziehung zu Gott durch Gebet und Meditation geprägt. Ihre Musik war für sie ein direktes Medium der Verkündigung, der Seelsorge und der Anbetung, die über kirchliche Mauern hinausging und Menschen weltweit berührte und inspirierte. Sie kämpfte dafür, die spirituelle Authentizität ihrer Musik zu bewahren, auch angesichts kommerziellen Drucks und gesellschaftlicher Erwartungen. Ihre Vision eines Tempels unterstrich ihren Wunsch nach einem Ort, der allen offensteht und Heilung und Bildung im Geiste des Evangeliums fördert.

Mahalia Jacksons Erbe lebt in jeder Note weiter, ein zeitloser Beweis für die Kraft des Glaubens, der Herzen bewegt und Seelen berührt.

© Carl v. Vechten / Science History Images/Alamy

Mediation - eine Quelle der Kontemplation

Jenseits von Gebet und Bibelstudium fand sie eine weitere Quelle der spirituellen Kontemplation: die großen Gewässer. Ob auf hoher See oder am Ufer eines Flusses – für Mahalia waren diese Orte des Fließens und der Weite Portale zu ihrer inneren Welt, wo sie Ruhe, Einsicht und die Kraft für ihre Mission fand.

Das Bullauge als Fenster zur Meditation

Die eindringlichste Beschreibung von Mahalias meditativer Praxis findet sich in einem Moment an Bord der SS United States. Es ist eine Szene, die ihre tiefe Konzentration und ihren Kampfgeist offenbart. Als Edward Robinson sie anspricht, weist sie ihn ab.

"Geh nur, Edward", sagte Mahalia, ohne sich vom Bullauge abzuwenden. "Siehst du nicht, dass ich meditiere? Ich habe eine Bürde auf dem Herzen, und ich habe die Kraft, sie aufzulesen. Baby, Mahalia bereitet sich auf den Kampf gegen die Dämonen vor."

Diese Worte malen ein klares Bild. Hier ist keine passive Entspannung, sondern eine aktive, zielgerichtete Innenschau. Aktive Innenschau, das ist eine treffende Definiton von Meditation.

Mahalia nutzte das Bullauge nicht nur als Fenster zur See, sondern als Fokuspunkt für ihre Meditation. Es war ein Ort, an dem sie sich ihren inneren Dämonen stellte, ihre Lasten aufnahm und sich für die Herausforderungen des Lebens wappnete. Die Weite des Ozeans, die sich vor ihr ausbreitete, spiegelte möglicherweise die Weite ihrer eigenen Seele wider, in der sie nach Stärke suchte.

In einem Auszug aus ihrem persönlichen Tagebuch, das sie zwischen dem 30. März und dem 4. April 1961 an Bord der SS United States schrieb, beschrieb Mahlaia Jackson die Wirkung des Meeres auf sich:

SS United States, 1. April
“Nachdem ich zwei Tage lang geschlafen hatte, kam ich auf Drängen des Musikdirektors Meyer Davis, der mich immer wieder aufforderte, an einer Party für den Komiker Jackie Gleason teilzunehmen, aus meiner Kabine. Schließlich raffte ich mich aus dem Bett und mischte mich unter die Gäste, aber innerhalb einer Stunde war ich wieder in meiner Kabine und schaute aus dem Fenster auf das wunderschöne Wasser. Ich wusste nicht, dass Wasser eine solche Anziehungskraft auf mich ausüben kann. Es war sehr interessant, die verschiedenen Formen und Gestalten des Wassers zu beobachten, die unterschiedlichen Wellen und Farben, die verschiedenen Stimmungen und Geräusche.“

Kindliche Träume am Mississippi

Mahalias Verbindung zu Gewässern als Orte der Kontemplation begann schon in ihrer Kindheit am Mississippi. Auch hier sprach sie von "meditativen Zeiten", die ihre Seele prägten:
"Ich empfand dort eine gewisse Freude", erinnerte sie sich an ihre meditativen Zeiten am Fluss. Sie sei immer ein Kind gewesen, das über die Zukunft nachgedacht habe, sagt sie. "Ich hatte das Gefühl, dass ich besser leben könnte."

Der Fluss, der stetig fließt und sich verändert, war für die junge Mahalia ein Ort der Reflexion über die Zukunft. Es war eine Umgebung, die ihre Gedanken beflügelte und ihr das Gefühl gab, dass ein besseres Leben möglich war. Diese frühe Prägung am Mississippi zeigt, dass die Nähe zu fließendem oder weitem Wasser für sie von Kindheit an eine Quelle der Inspiration, des Trostes und der spirituellen Verbindung war.

Die meditative Kraft des Wassers

Obwohl Mahalia Jackson das Wort "meditieren" vielleicht nicht immer in unserem modernen Verständnis verwendete, so ist doch klar, dass das Beobachten großer Gewässer für sie eine zutiefst spirituelle und meditative Praxis war. Es war ein Raum der Stille, in dem sie:

Innere Kämpfe austrug
Das Bullauge wurde zum Fokuspunkt für die Bewältigung seelischer Lasten.

Verborgenes erkannte
Das Meer offenbarte ihr sein "Lied", eine Metapher für tiefe Einsichten.

Sich mit ihrer Zukunft verband
Der Fluss diente als Kulisse für kindliche Träume und die Hoffnung auf ein besseres Leben.

Mahalia Jacksons Art zu meditieren war so einzigartig und kraftvoll wie ihre Stimme selbst. Sie lehrte uns, dass man nicht unbedingt auf einem Meditationskissen sitzen muss, um innere Ruhe zu finden. Manchmal genügt es, sich dem Fluss des Lebens oder der Weite des Ozeans hinzugeben – und dort, in den unendlichen Bewegungen des Wassers, das Lied der eigenen Seele zu hören.

©Thilo Plaesser